Kopftuchverbote werden diskutiert und keiner fragt die muslimische Frau. Es findet eine Gerichtsverhandlung gegen die muslimische Frau statt, ohne ihr Bescheid zu geben und ohne ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Dabei wird nicht von einem „Verbot“ gesprochen, sondern von „Befreiung“. Ein deutliches Indiz dafür, dass es nicht um die „Befreiung“ der Muslima geht, sondern um die Überlegenheit der eigenen (westlichen) Kultur zu betonen, also ein Zeichen von Minderwertigkeitsgefühlen und des Selbstzweifels.
Wie „Befreiung“ im Interesse von Dominanz und der Überlegenheit der eigenen (westlichen) Kultur steht, zeigt das Beispiel von Lord Cromer (1841-1917), dem damaligen Generalkonsul der britischen Kolonialbehörde in Ägypten, der im Namen von Freiheit und Frauenrechte vehement die Entschleierung der muslimischen Frauen gefordert hatte. Gleichzeitig aber war er selbst in England Gründungsmitglied und zeitweiliger Vorstand der ‘Men’s League for Opposing Women’s Suffrage‘, einem männlichen Verein gegen das Wahlrecht von Frauen.
Diese westliche Doppelmoral ist keineswegs neu, sondern fester Bestandteil einer Sichtweise vom Islam und der Muslima. Bereits die Kolonialmächte haben den Islam als genuin fremd und frauenunterdrückerisch verstanden. Die imperialistischen Eroberer, wollten den muslimischen Frauen das Kopftuch niederreißen, um die „versklavten und entrechteten Frauen“ zu befreien. Dabei ging es weniger um die „Befreiung“ der Muslima, sondern um eine Legitimierung der Besatzung.
Auch in der Türkei Atatürks ebenso wie im Iran des Schahs oder in der damaligen UdSSR wurden Zwangsentschleierung angeordnet und häufig mit Gewalt durchgesetzt. Während Frankreichs Algerienkrieg (1954-62), wurden Frauen von den französischen Militärs aus den Dörfern in die Städte gebracht und gezwungen, auf öffentlichen Plätzen den Schleier abzulegen. Nicht nur sie, sondern auch die algerischen Männer haben dies als eine symbolische Vergewaltigung empfunden.
Zwangsentschleierungen sind nicht neu, auch heute gibt es einige die eine Zwangsentschleierung der muslimischen Frau fordern. Heute wird es allerdings nicht mehr Zwangsentschleierung, sondern „Kopftuchverbot“ oder „gelungene Integration“ genannt. So soll die muslimische Frau im Namen der Freiheit, gezwungen werden ihre freie Entscheidung zu ändern. Die Paradoxie in diesem Fall liegt ja darin, dass einer Frau die religiöse Freiheit verwehrt wird im Namen ihrer Emanzipation.
Vielfach wird die muslimische Frau als besonders unterdrückt dargestellt. Damit soll die Überlegenheit der eigenen westlichen Kultur bestätigt werden. Die rufe nach dem „Kopftuchverbot“ werden immer lauter. Das Kopftuchverbot soll die muslimische Frau „befreien“, aber wovon soll die muslimische Frau eigentlich befreit werden? Ganz einfach: Die muslimische Frau soll von ihrer Entscheidung „für“ das Kopftuch, befreit werden.
Es sollte doch zunächst geklärt werden, welche Bedeutung die Selbstbestimmung von Frauen überhaupt hat, denn die Sicht der betroffenen Muslima selbst findet in der Kopftuchdebatte kaum Gehör, vielmehr wurde die Muslima im Gegenteil mithilfe der entsprechenden Vorurteile geradezu unsichtbar gemacht. Wie ernst ist es also Deutschland mit der „Befreiung“ der Frau, wenn zum einen die Einstellung der Muslima selbst so gut wie keine Rolle spielt und zum anderen ihr eine eigenständige Lebensperspektive als muslimische Frau versagt wird? Es scheint hier eher um die Frage kultureller Dominanz als um die Befreiung der Frau zu gehen.
Solch ein Vorgehen ist Repressiv. Repressiv deswegen weil das westliche Emanzipationskonzept seine Vorstellung den anderen überstülpen möchte und so im Namen von Gleichheit und Freiheit Unterwerfung einfordert.
Ständig wird die Unterdrückung in anderen Ländern herangezogen, dabei sollten wir Deutschland nicht mit anderen Gesellschaften, sondern Deutschland mit Deutschland vergleichen. Wichtig sollte uns nicht sein, welche Rechte Frauen in anderen Gesellschaften haben, sondern welche Rechte Frauen bei uns in Deutschland haben. Nicht die Frage: „Welche Rechte hat die Frau im Islam?“ sollte gestellt werden, dies ist Aufgabe der islamischen Theologie. Vielmehr sollte die Frage gestellt werden: „Welche Rechte hat die muslimische Frau in Deutschland?“. Welche Rechte genießt z.B. eine Kopftuchtragende Muslima, mit abgeschlossener Lehramtsausbildung oder Jurastudium, in Deutschland? Darf sie ihr Beruf ausüben, oder wird es ihr verwehrt?
So gehört es doch zum Grundrecht, dass niemand wegen seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf (GG 3: 3). Ist es nicht an der Zeit, dass Deutschland mit seinen Maßstäben und nicht mit Maßstäben anderer Gesellschaften, gemessen wird?
Wer im Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung der Frau sieht, übersieht leicht, dass diese Sichtweise Frauen unterdrückt. Wer im Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung der Frau sieht, übersieht, dass man das Kopftuch nicht verbieten kann, ohne die Freiheit zu verraten. Jede Frau hat ein Recht auf ihren eigenen Körper. Ob sie nun den Schleier anlegt oder nicht, sollte die Entscheidung der Frau sein, nicht der Justiz. Es besteht kein Unterschied zwischen den Rechten einer Frau mit- und einer Frau ohne Schleier. Der entscheidende Unterschied, ist die unterschiedliche Entscheidung. Schließlich sollte es in Deutschland ein Recht auf Unterschiedlichkeit geben aber kein unterschiedliches Recht.
Die Entscheidung „für“ oder „gegen“ das Kopftuch ist die Entscheidung der Frau. Ein Kopftuchverbot würde nur „eine“ Entscheidung zulassen, ohne eine Wahl. Eine Entscheidung ohne eine Wahl aber, ist purer Zwang.