Wieder einmal steht das jährliche Weihnachtsfest vor der Tür und sorgt allerorts für fröhliche Stimmung. Wer in den letzten Tagen die Einkaufsstraßen passierte konnte feststellen: Deutschland ist im Weihnachtsfieber. Überall wurde gekauft, verpackt und umgetauscht. Die Läden platzen aus allen Nähten.
Auch die Weihnachtsmärkte sind trotz des jüngsten Angriffs in Berlin gut besucht und fördern das festliche Ambiente.
Neben dem Weihnachtsbummel kommt die konventionelle Adventsmahlzeit auf den Speiseplan. Gerne gegessen werden Würstchen mit Kartoffeln, gefolgt von der traditionellen Weihnachtsgans an Heiligabend. Das typische Fastengericht wurde von einer Generation zur nächsten weitergetragen und gehört zum Weihnachtsmenü vieler Christen dazu. So nutzte man einst die Adventstage, um den Magen von der schweren Kost zu entlasten. Die Fastenzeit endete für gewöhnlich am 1. Weihnachtstag mit einem deftigen Essen zur Belohnung für den schweren Verzicht. Das Fasten an Weihnachten ist heute so gut wie verschwunden. Nur wenige Christen entsagen der nahrhaften Kost und nutzen die Zeit für eine seelisch-körperliche Läuterung.
Auch die Lehren und Weisheiten des ehrwürdigen Propheten Jesu (a.) [1] verschwanden aus dem Gedächtnis und haben für das Weihnachtsfest so gut wie keine Bedeutung mehr. Dabei wurde das Fest ursprünglich zelebriert, um seiner zu gedenken und ihm Ehre zu erweisen. War er es doch, der in der Wiege zu den Menschen sprach, die Toten zum Leben erweckte und dem Blinden seine Sehkraft verlieh. Er saß mit den Schwachen und ärmsten Menschen zusammen. Er liebte sie alle wie sein eigenes Leben. Er sorgte sich um ihre Probleme. Frei von Herkunft, Hautfarbe und Rasse reichte er seinem Nächsten die Hand. Als Freund der Gerechtigkeit kämpfte er im Namen Gottes gegen die Tyrannen seiner Zeit.
Wie viele Christen kennen heute die Geschichten des ehrwürdigen Gesandten? Dabei ist er doch ein Vorbild für Groß und Klein. Eine Richtschnur für das ganze Leben. Seine gelebten Werte richten sich an die ganze Menschheit. Und heute brauchen wir ihn mehr denn je, in einer Zeit, in der Menschen unterschiedlicher Überzeugungen gegeneinander aufgehetzt werden. In der die Schuld der Verbrechen einzelner Täter auf friedliche Menschen übertragen wird, die den gleichen Namen tragen, derselben Herkunft entspringen oder dergleichen Religion angehören. Die Brille der Nächstenliebe wird abgelegt und ersetzt durch die der Nächstenfeindlichkeit. Auslöser ist meist die Tat eines Einzeltäters (wie in Berlin), der glaubt, Heil und Erlösung zu finden, indem er jene Menschen, die ihm Hilfe und Obdach gewähren, kaltblütig hinrichtet. Eine Tat, die verabscheuungswürdiger nicht sein kann. Und noch ehe der Täter gefasst wird, hat der Bürger die passende Schublade für ihn gefunden.
Heute, am Tag der Geburt des heiligen Propheten Jesus stellen wir uns die Frage: Wie würde Jesus denken? Wie würde er handeln? Jesus einzige Schublade war der Mensch. Er verabscheute das Schlechte und beurteilte den Menschen einzig und allein nach seinen Taten, nicht nach seiner konfessionellen Zugehörigkeit. Er schaute nicht auf das Buch, das man zu folgen glaubte. Denn das Buch kann keine Menschen töten. Es ist der Mensch, der sich gegen seine göttliche Natur stellt und sich frei dazu entscheidet, Unrecht auszuüben. Dessen war sich der Prophet bewusst. Deshalb urteilte er gerecht und wendete einen ganzheitlichen Maßstab an. In diesen Tagen sollten wir uns bemühen, den Habitus des Propheten zu studieren und ihn uns anzueignen.
Dass das kein einfaches Unterfangen ist, sehen wir am Weihnachtsfest. Längst hat der Konsumgott den christlichen verdrängt. Das Beschenken ist heute zum Selbstzweck geworden. Viele Jugendliche saufen sich an Weihnachten ins Koma. Die wenigen Gläubigen sehen mit an, wie das Heilige Fest missbraucht wird, die christlichen Werte aus der Gesellschaft verschwinden. Homosexuelle Partnerschaften ersetzen die traditionelle Familie. Vieles steht im fundamentalen Widerspruch zur christlichen Botschaft. In allen Fernsehsendungen hören wir Politiker von der christlich-jüdischen Abendkultur schwadronieren. Jeder verwendet den Begriff, doch wer handelt danach? Welcher Politiker bemüht sich ernsthaft um den Schutz der christlich-jüdischen Tradition?
An der Spitze steht eine christliche Partei, die nicht davor zurückschreckt, Waffen an Extremisten zu liefern und bei ethnischen Säuberungen wegzublicken. Sie teilt Rebellen nach Willkür ein in gut und schlecht. Das Resultat einer solchen Einteilung haben wir am Berliner Weihnachtsmarkt gesehen. Die Ereignisse können und sollten nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Der Terror ist das Ergebnis einer jahrelangen fatalen Außenpolitik, die auf Trug und Lüge basiert. Du sollst kein falsches Zeugnis geben über deine Nächsten. Wie sähe die Welt heute aus, wenn das achte Gebot von allen Politikern eingehalten würde? Wenn sie ehrlich wären gegenüber den Bürgern? Wenn sie ehrlich wären gegenüber sich selbst. Ist doch die Lüge eines der größten Übel der Menschheitsgeschichte, die Ursache für jeden Terror in der Welt. Sie ist der Grund dafür, dass wir die Menschheit heute einteilen in erste, zweite und dritte Klasse. Deshalb wurde die Lüge von allen Propheten immer und überall bekämpft.
Auch wir sollten das Übel an der Wurzel packen und die seelischen Krankheiten bekämpfen. Jeder sollte bei sich selbst anfangen und das Wir anstelle des Ichs in den Vordergrund stellen. So tat es auch der Sohn der Maria. Wir Muslime lieben und verehren den Propheten Jesus. Er gehört zu den höchsten Propheten Gottes. Ebenso schätzen wir die jüdische und christliche Botschaft. Sie sind verschiedene Sprachen ein und derselben Wahrheit. Sie entspringen der einen göttlichen Quelle. Und deshalb ist jeder, der zurück zur göttlichen Wahrheit findet, ein Segen für die Gesellschaft. Alle anderen sind Wanderer auf dem Weg zum einen Gott. All jene schließt der Muslim mit ein und betet für sie in seinen täglichen Gebeten. Er bittet Gott um Gnade und Rechtleitung für alle Geschöpfe. So tat es auch der Prophet der Liebe, der Sohn der Maria, Jesus Christus (a.).
Wir wünschen allen Mitbürgern ein fröhliches Weihnachtsfest und gratulieren zur Geburt des edlen Propheten Jesu, der Leiter zur göttlichen Quelle des Guten. Mehr als seine Person stehen seine universellen Werte heute im Mittepunkt. Wir alle sollten uns bemühen, ihm in Wort und Tat nachzueifern, der Religiöse wie der Nichtreligiöse. Seine Lehren sind der Schlüssel für ein friedliches Zusammenleben und ein Garant für den Frieden in aller Welt. Jesus war ein Freund der Armen und Schwachen. Wir sollten sie in diesen Stunden nicht vergessen, ungeachtet dessen, wo sie gerade sein mögen. Möge Gott den Schirm der Gnade über sie spannen und sie aufnehmen in seiner unendlichen Barmherzigkeit.
Und meine Barmherzigkeit umfaßt alle Dinge [2]
[1] Abkürzung für „Alyhi as-Salam“ (Der Friede Gottes sei auf ihm)
[2] Qur’an 7:156