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Kein Medium beeinflusst seinen Adressaten mehr als ein Schriftstück, aber das Handwerk des Schreibens will gelernt sein. Wir versuchen, die Wahrheit des Islam mit unserer Schreibe zu vertreten, scheitern jedoch an unserer Schriftsprache. Learning by Doing allein erlaubt uns nur, zu kriechen, nicht voranzuschreiten. Gott sei Dank gibt es herausragende Bücher übers Schreiben. Ihre grundlegenden Stil-Ratschläge fasse ich wie folgt zusammen.
Korrektheit
Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik und Satzbau folgen Regeln. Wer sie missachtet, zeigt sein Desinteresse am Leser und sollte nicht schreiben. Niemand liest gerne Sätze ohne Punkt und Komma, das ist mühselig und frustrierend: Der Leser steigt aus.
Merke: Prüfe deinen Text mehrfach auf Fehler, lies ihn dabei mindestens einmal laut vor. Und wenn du schließlich glaubst, er sei fehlerfrei, dann prüfe erneut, denn er ist es nicht.
Schwafeln und blähen
Wenn du ein Wort oder einen Satz deines Textes streichen kannst, ohne die Aussage zu schwächen oder die Verständlichkeit herabzusetzen, dann streiche – hemmungslos! Das ist der wichtigste Tipp in der Stilistik: Jedes Wort muss unentbehrlich sein.
Beispiel: Als ich spazieren ging, dachte ich über die islamische Welt nach. Ich kam gerade an einem Brunnen vorbei, da dachte ich: „Wenn doch die Muslime nur einig wären.“
Er ging also spazieren und sah einen Brunnen – aha. Warum sollte mich das als Leser interessieren? Danke, lieber Autor, dass du meine Zeit stiehlst.
Beispiel: Die Zionisten griffen Gaza an, sie verübten Massaker, viele Menschen starben.
Der Nachsatz „viele Menschen starben“ ist überflüssig.
Eine besonders ärgerliche Spielart des Schwafelns ist die Blähung, auch „heiße Luft“ genannt. Damit bezeichnet man Sprach-Hülsen, die sich als Schrift verkleiden, aber keinerlei Inhalt besitzen, meist verschleiert mittels „Gelehrtensprache“. Blähungen musst du unbedingt vermeiden und eliminieren!
Beispiel: Die Menschwerdung des Menschen instruiert ihn, auf dem Pfade des Humanen zu wandeln, ohne von den Mannigfaltigkeiten der Wirklichkeit vom Sein fehlgeleitet zu werden.
Eine angemessene Bewertung dieses Satzes in Jugendsprache: Danke für gar nichts.
Beispiel: Die Importanz interreligiöser Kompetenzen der handlungsgebundenen Akteure des realen Gesellschaftsgeschehens belegt sich durch die Signifikanz derselben.
Übersetzt ins Deutsche: Interreligiöse Kompetenzen sind wichtig, weil sie wichtig sind.
Blähungen produziert, wem Inhalten fehlen. In diesem Fall ist es klüger, ganz vom Schreiben abzusehen.
Merke: Kein Schwafeln, kein Blähen. Komm zur Sache! Was nicht notwendig ist, muss gestrichen werden.
Verbfaulheit
Die Verbfaulheit steht in der Überschrift dieses Artikels: Die beliebtesten Verben im Deutschen sind „machen“, „haben“, „tun“ und „sein“. Wenn man wollte, könnte man jeden Text allein mit diesen vier Verben paraphrasieren. Und genau das ist ihre Schwäche: Sie passen überall und nirgends, beschreiben nur ungenau, fördern Missverständnisse, lassen jeden Charakter missen und schläfern den Leser ein – in ihrer Funktion als Vollverben, nicht als Hilfsverben („haben“ und „sein“).
Beispieltext mit treffenden Verben:
Er legte das Buch zurück ins Verkaufsregal. „Das kann ich mir nicht leisten“, dachte er. Dabei bedeutete es ihm viel; der Autor hatte ihn beeindruckt. „Sobald ich einige Monate gearbeitet habe, werde ich genug Geld besitzen“, tröstete er sich.
Verbfaulheit verunstaltet den Text:
Er tat das Buch zurück ins Verkaufsregal. „Dafür habe ich nicht genug Geld“, hatte er im Sinn. Dabei hatte es für ihn eine große Bedeutung; der Autor hatte Eindruck auf ihn gemacht. „Sobald ich einige Monate bei der Arbeit war, werde ich genug Geld haben“, war sein Gedanke.
Eine Stil-Missgeburt par excellence. Weitere Verben, die du hinterfragen solltest: bringen, holen, geben, tragen, sagen, gehen, kommen.
Merke: Sei nicht faul, finde das treffende Verb.
Adjektive sind Schwabbelfett
Adjektive, je nach Funktion auch „Adverb“, „Partizip“, „Attribut“ oder „Prädikat“ genannt, sind das Schwabbelfett der Schriftsprache, legen sich auf „pralle Hauptwörter und schlanke Verben“ (W. Schneider), verschlimmbessern deinen Ausdruck. Sie sind notwendig, kein Buch könnte auf sie verzichten, doch ihr Gebrauch will wohlüberlegt sein. Oftmals sind sie reine Füllwörter ohne Mehrwert, oder Schädlinge, etwa Tautologien: weißer Schimmel, schwarzer Rabe, verheerende Katastrophe, situative Gegebenheit, dunkle Vorahnung, seltene Rarität, wertvoller Schatz.
Mangelhaftes Sprachbewusstsein beweist auch, wer Hauptwörter in Verbindungen aus Adjektiv und Hauptwort zerlegt: „Gesellschaftsordnung“ wird zu „gesellschaftliche Ordnung“, „Islamverständnis“ zu „islamisches Verständnis“, „Hochzeitszeremonie“ zu „hochzeitliche Zeremonie“.
Adverben bestimmen Verben häufig ohne Not: Das treffende Verb muss nur gesucht werden.
Beispiel: Er ging schnell.
Besser: Er rannte, schritt, lief, marschierte, stürmte, spurtete, eilte, raste, hastete. (Je nach Zusammenhang)
Beispiel: Er sprach ungenau.
Besser: Er schwadronierte, schwafelte, sülzte, schwatzte, redete daher, lispelte, tuschelte, wisperte, murmelte. (Je nach Zusammenhang)
Gleiches gilt für die Bestimmung von Hauptwörtern durch Adjektive:
stürmischer Wind – Sturm
heimatliche Liebe – Heimatliebe
ländliches Leben – Landleben
Merke: Kannst du Adjektive ersetzen oder streichen? Dann tue es.
Hauptwörterei
Nach W. Süßkind teilen sich die Hauptwörter in drei Klassen auf.
Erstens in die Bezeichnungen von Dingen, wie „Hund“, „Tisch“, „Handy“ oder „Säugling“. Sie sind das Gerüst jedes Textes.
Zweitens in die Abstrakta: „Neid“, „Ehre“, „Missgunst“. Sie bezeichnen keine Dinge, führen ein Doppelleben als Verb oder Adjektiv: neiden, ehren, missgünstig. Dennoch handelt es sich um echte Hauptwörter, sie sind unentbehrlich.
Und dann gibt es die Unmenge von Hauptwörtern, die keine sind, sich nur maskieren, eigentlich von Verben oder Adjektiven stammen. Viele enden auf „ung“: Tötung, Missachtung, Platzierung, Durchführung, Schaffung, Genehmigung. Man muss schon schwerwiegende Gründe anführen, um diese Hochstapler zu verwenden – fast immer ist die Verbform lebendiger, liest sich angenehmer.
Beispiel im Hauptwörterstil: Die Beendigung dieser Maßnahmen seitens der Handelnden ist anzuraten.
Im Verbalstil: Wir raten, diese Maßnahmen zu beenden.
Beispiel im Hauptwörterstil: Die Heranbildung neuer Gelehrter hat unter Heranziehung fähiger Ayatullahs zu erfolgen.
Im Verbalstil: Angehende Gelehrte müssen von fähigen Ayatullahs ausgebildet werden.
Merke: Vermeide die Hauptwörterei, suche den Verbalstil.
Flauer Stil
Die Angst vor ungenauen oder angreifbaren Aussagen verleitet zu „flauem Stil“: Jeder Ausdruck wird mit „oft“, „durchaus“, „manchmal“, „nicht selten“, „kaum“, „wohl“, „irgendein“, „sozusagen“, „fast“, „möglicherweise“ etc. abgeschwächt.
Beispiel: Der Schaden kann durchaus nicht selten beträchtlich sein.
Besser: Der Schaden ist groß.
Merke: Vermeide flauen Stil. Wenn du es nicht schreiben willst, schreibe es nicht, aber schwäche nicht ab, um es bewahren zu dürfen.
Passiv: Zombiesprache
Der Passiv ist bequem: Man muss nicht sagen, wer etwas tat, sondern begnügt sich damit, dass es getan wurde. Der Text bezahlt diese Faulheit mit Lebendigkeit; er wirkt dröge und gekünstelt, der Leser sehnt sein Ende herbei. Nicht jeder Passiv muss geköpft werden, mancher mag berechtigt sein, indes ist meistens eine Formulierung im Aktiv die bessere Wahl.
Beispiel: Es wurde behauptet, dass …
Besser: X behauptete, dass …
Beispiel: Die Jugend wurde in eine Situation gezwungen …
Besser: Die ältere Generation zwang die Jugend in eine Situation …
Beispiel: Dabei wurden drei Palästinenser getötet.
Besser: Dabei töteten die Zionisten drei Palästinenser.
Merke: Prüfe deine Passiv-Konstrukte, vergleiche sie mit Alternativen im Aktiv.
Ausblick und Literatur
Das waren die einfachsten und wichtigsten Stilregeln, es gibt etliche weitere. Keine Stilregel ist ein Gesetz; Ausnahmen gibt es jede Menge. Aber wenn du die Regeln nicht kennst, bleibt dein Text ein Stümperwerk.
Zahllose Internetseiten bieten Anleitungen zum „perfekten Artikel“ oder zur „Bombenüberschrift“. Diese Ratschläge kannst du allesamt ignorieren, denn sie stammen von Web-Fuzzies, denen es nur um Suchmaschinenoptimierung und Klatschniveau geht. Stilregeln lernt man ausschließlich aus der entsprechenden Fachliteratur, besonders empfehle ich:
Ludwig Reiners: Stilfiebel – Der sichere Weg zum guten Deutsch. DTV.
Wolf Schneider: Deutsch für Profis – Wege zu gutem Stil. Goldmann.
W. E. Süskind: Vom ABC zum Sprachkunstwerk. Deutsche Verlags-Anstalt.
Und außer Konkurrenz empfehle ich ein Werk von Stephen King, mehr Unterhaltung als Lehre, dennoch vollgespickt mit hilfreichen Tipps des Bestsellerautors, die auch in der Übersetzung ins Deutsche fruchten: Das Leben und das Schreiben, Heyne.