Muslimische Politikverdrossenheit: Warum Muslime sich in die Politik einbringen sollten

Politik interessiert mich nicht – dieses Statement ist aktueller denn je. Es spiegelt die Haltung vieler deutscher Bürger wieder, die mit der heutigen Politik unzufrieden sind. Auch die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahlen ließen aufhorchen: Zwar stieg die Wahlbeteiligung im Vergleich zum Vorjahr an. Dennoch wären die Nichtwähler in vielen Bundesländern die stärkste Partei. Politikverdrossenheit und geringe Wahlbeteiligung durchziehen die Gesellschaft. Der Deutsche ist müde. Er fühlt sich verraten, von den sog. Volksvertretern der etablierten Parteien. Doch dabei bleibt es nicht. Das Unbehagen, im Status quo zu verharren, schlägt ins Schaffen von Feindbildern um und findet eine Stimme bei Gruppen, die sich der Angst bedienen. Statt bestehenden Parteien den Rücken zu stärken, die das System der Ausbeutung bekämpfen, in dem die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, flüchtet man in Extreme. Man gibt seiner Stimme einer faschistischen Partei, die den Keil der Spaltung vorantreibt, die Reichen in Schutz nimmt und der krankmachenden Götze des Kapitalismus die Füße küsst.

Auch Muslime scheuen sich in ihrer Allgemeinheit noch immer davor, politisch aktiv zu werden. Oft leben sie in Isolation, abgeschnitten vom Rest der Gesellschaft. Die Begeisterung an politischen Themen und Inhalten ist erbärmlich. Wichtig ist nicht, was im Deutschen Bundestag beschlossen wird, sondern wie das angehäufte Geld in die Heimat fließt. Die wenigen, die politisches Interesse zeigen, sind stärker darum bemüht Probleme in den weit entfernten Herkunftsländern zu beheben statt in dem Land, in dem sie leben, arbeiten und aller Voraussicht nach auch sterben werden. Mit Herz und Seele nimmt man Anteil am Schicksal der Glaubensgeschwister in Jemen, Palästina, Libanon, Irak und anderen Ländern, schweigt jedoch, wenn die kopftuchtragende Muslima in unmittelbarer Umgebung beleidigt oder bespuckt wird. Man schüttelt den Kopf, wenn von „Handschlag-Pflicht für muslimische Schüler“ [1] oder zum „Kampf gegen den politischen Islam“ [2] die Rede ist, doch wer erhebt seine Stimme? Welcher Muslim wehrt sich gegen diese Art der medialen und politischen Hetze?

Inzwischen wächst der Krieg gegen Flüchtlinge, Muslime und andere stigmatisierte Gruppen weiter an. Die Dreistigkeit des Westens, Angriffskriege zu schaffen und sich anschließend über die Folgen zu echauffieren, ist so pervers, dass immer mehr Menschen die heuchlerische Fassade durchschauen. Allen voran die USA, deren Angriffe die Lebensgrundlage vieler Menschen täglich zerstören, sprechen von Frieden und Sicherheit. Wir sind außerstande die unzähligen Verbrechen der USA und ihrer willenlosen Lakaien aufzuzählen. Wer glaubt, das Töten per Joystick höre nach der Wahl des neuen Präsidenten auf, ist auf dem Holzweg. Wie ernst es amerikanische Präsidenten mit Wahlversprechen nehmen, zeigt Guantanamo. Im Jahre 2008 versprach der erste schwarze Präsident die baldige Schließung des Gefangenenlagers. Inzwischen sind zwei Amtszeiten vergangen. Geschlossen wurden nur die Gräber der über 10.000 Leichen, die in acht Jahren, in denen Obama regierte, durch Drohnen- und konventionellen Bombenangriffe getötet wurden. Die blinde Masse bemerkt dabei nichts. Sie wird dumm gehalten. Sie würdigen den Abgang ihrer kaltblütigen Politiker.

Wie perfide Menschen manipuliert werden, wird deutlich, wenn ein Massenmörder und gleichzeitiger Friedensnobelpreisträger einen der größten Verbrecher unserer Zeit würdigt, als einen „Kämpfer für den Frieden“ im Nahen Osten [3]. Die Welt trauert Präsidenten hinterher, die mehr Menschen auf dem Gewissen haben, als der IS-Kämpfer jemals haben kann.

Auch in Deutschland steigt der Rassismus. In so mancher Gegend trauen sich viele muslimische Mitbürger nachts nicht mehr auf die Straße, aus Angst, Opfer fremdenfeindlicher Angriffe zu werden. Noch immer sind die Flüchtlingsheime Attacken gewaltbereiter Nazis ausgesetzt. Noch immer werden die Moscheen in Deutschland angegriffen. Und die Muslime? Sie warten auf Veränderungen. Sie warten darauf, dass die Hetze gegen den Islam ein Ende nimmt. Dass die kopftuchtragende Muslima über die Straße läuft, ohne angefeindet zu werden. Sie warten auf Veränderungen, die nicht eintreten, wenn sie nicht anfangen, gesellschaftspolitisch aktiv zu werden und den Islam und die Muslime in den Vereinen, Gemeinderäten und Parlamenten zu vertreten. Keine andere Glaubensgemeinschaft von vergleichbarer Größe ist in Deutschland schlechter vertreten als die islamische. Keine andere Religionsgruppe ist in sich so gespalten wie die Anhänger des Islam. Wo sind die tatkräftigen muslimischen Aktivisten, die sich einsetzen für das Wohl der islamischen Gemeinde in Deutschland? Wo die gemeinsamen Aktionen der verschiedenen islamischen Gruppen? Welcher Muslim bemüht sich öffentlich um die Wahrung der islamischen Einheit, wie es der Koran von uns fordert [3:103]?

Ein Grund für den miserablen Zustand der Muslime ist das Fehlen glaubwürdiger muslimischer Vertreter, die sich eifrig um das Wohl aller muslimischen Bürger in diesem Land – gleich welcher Richtung – bemühen. Ein Argument gegen das politische Engagement in Deutschland, das in den Köpfen muslimischer Jugendlicher herumschwirrt, ist die nicht zu umgehende Zusammenarbeit mit den Feinden. Sobald man in die Politik einsteigt, käme man nicht daran vorbei, Geschäfte mit den Menschen zu machen, die das Blut vieler Unschuldiger zu verantworten haben.

Und tatsächlich, die Liste der Schandtaten deutscher Politiker ist lang: Die Legitimation deutscher Politiker, amerikanische Tötungsdrohnen von deutschem Boden aus fliegen zu lassen. Die Ausrüstung diktatorischer Monarchen wie Saudi-Arabien mit Panzern, Raketenwerfern und diversen Kleinwaffen, die täglich genutzt werden, um Menschen zu töten. Die Übergabe deutscher U-Boote an ein teuflisches Regime, das Apartheid praktiziert und Menschen wie das Vieh gefangen hält. Die politischen Volksvertreter arbeiten zusammen mit den gefährlichsten Ländern der Welt und sind rechtlich schuldig für das Leid unzähliger Menschen in vielen Regionen.

Die Kritik ist berechtigt. Besäße die Horde Merkel einen Funken Anstand und Mitgefühl, müsste sie die Waffenlieferungen an mörderische Regime unverzüglich stoppen. Gerade Deutschland, ein Land, das nun wahrlich nicht für seine saubere Weste bekannt ist, muss aus den Fehlern der Geschichte lernen und sich in aller Härte gegen den von einigen Ländern geschürten Hass und Rassismus wehren. Dennoch darf die Politik nach außen mit der im Inland nicht vermischt werden. Die heiklen Entscheidungen deutscher Politiker sollten den Muslim nicht dahin führen die Politik gänzlich zu meiden. Aus islamischer Sicht steht einer Zusammenarbeit nichts im Wege, sofern sie den Muslimen und anderen gutherzigen Menschen nützt. So zog einst auch der 8. Imam der Schiiten, Imam Ali al-Ridha, die Arbeit mit dem früheren Abbasiden-Kalifen Harun al-Rashid vor, um menschenwürdige Ziele voranzutreiben. Trotz der heftigen Kritik gegen den tyrannischen Machthaber arbeitete der Imam mit ihm zusammen, um Unrecht und Schlechtigkeit zu minimieren und der islamischen Gemeinschaft zu helfen. Imam Ali al-Ridha (a.), der reine, sündenlose Imam, übernahm ein Amt bei einem der größten Massenmörder der islamischen Geschichte. Auch der Prophet Yusuf (a.) arbeitete Hand in Hand mit dem Gott leugnenden tyrannischen Pharao. Doch hatte er ebenso die Absicht, Gutes zu bewirken und Schlechtes zu vermeiden. Das ist die Voraussetzung, unter der ein Amt in einem Unrechtsstaat übernommen und ausgeführt werden kann.

Nun ist Deutschland per se kein Unrechtsstaat und die Volksvertreter sind kollektiv keine Kriegsverbrecher. Pauschale Diffamierungen sind schädlich und spiegeln nicht die Realität des Landes wieder. In weiten Teilen der Gesellschaft treffen wir auf Menschen, die den praktischen Islam stärker Leben als so mancher Muslim. Menschen, die sich täglich einsetzen für das Wohl der Schwachen und Armen in diesem Land, in der Politik oder in ehrenamtlichen Organisationen, wir finden sie an etlichen Orten. Sie spenden von ihrer Zeit, um anderen ein anständiges Leben zu ermöglichen.

Um die Hetze in diesem Land im Keim zu ersticken, brauchen wir die Politik. Wir brauchen muslimische Vertreter, die auf der Grundlage der Ehrlichkeit und Einheit die Bedürfnisse einer heterogenen Gesellschaft vereinen. Unter Wahrung der Glaubenslehre und dem Ziel, die teils klägliche Lage der Muslime in den westlichen Ländern zu verbessern, müssen wir politisch aktiv werden. Dafür müssen wir raus, raus den Moscheen und Vereinen. Wichtige Entscheidungen werden in der Politik beschlossen, nicht auf der Kanzel. Die Ourghis und Özdemirs in diesem Land werden nichts bewirken. Wir sind aufgefordert das Ruder selbst in die Hand zu nehmen, statt laut rum zu lamentieren und anderen die Arbeit zu überlassen. Unsere Vorbilder lehrten die politische Aktivität. Sie lehrten den Einsatz für Schwache und Unterdrückte, ohne die Glaubensüberzeugungen aufzugeben. Nun gilt es ihnen Folge zu leisten und jenen Menschen, die uns brauchen, eine starke Stimme zu verleihen.

[1] https://www.welt.de/vermischtes/article155672936/Muslimische-Schueler-muessen-Lehrerinnen-die-Hand-geben.html

[2] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/die-csu-ruft-zum-kampf-gegen-den-politischen-islam-auf-aid-1.6358480

[3] http://www.sueddeutsche.de/news/politik/regierung-obama-wuerdigt-peres-als-kaempfer-fuer-den-frieden-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160928-99-616426