Ich liebe Satire. Lustiger als Satire ist aber die Realsatire. Etwas, was in der Realität passiert und so albern ist, dass man nicht weiß, ob man traurig sein oder sich amüsieren soll.
Realsatire am frühen Abend
Gestern sprach ich mit einem Freund, der eine Protestkundgebung zu einem aktuellen Ereignis in einer deutschen Großstadt organisiert und mich persönlich einladen wollte. Habe mich bedankt und meine Zusage für die Teilnahme bekundet. Im weiteren Verlauf des Gesprächs fragte ich, wen er eingeladen habe. Er berichtete von zwei Gemeinden, die er angerufen habe und gebeten habe, die Einladung zur Kundgebung weiterzuleiten.
Als erste Reaktion haben sie sofort zugestimmt und ihre Teilnahme zugesagt. Dann fragten sie, wie viele Leute denn zur Kundgebung erwartet werden. Auf die Antwort, dass etwa 50-60 gerechtigkeitsliebende Menschen erwartet werden, reagierten sie nicht sehr begeistert. In der zweiten Reaktion sagte man, dass es wenige Leute seien und sie doch nicht kommen würden und ihre Gemeinde nicht informieren und einladen werden, an der Kundgebung gegen Tyrannei teilzunehmen, denn sie würden nur kommen, wenn mehr als 150-200 Leute kommen würden.
Ich musste natürlich erst mal lachen, als ich das hörte. Diese Reaktionen sind einfach so absurd, dass es sich kaum lohnt, diese zu kommentieren. Was ist, wenn alle so denken? Wenn man seine Teilnahme an Kundgebungen, an Demonstrationen von der Anzahl der zu erwartenden Teilnehmer abhängig macht, und alle so denken, wer soll denn noch zu einem Protest erscheinen?
Zweite Realsatire des Abends
Eine Stunde später erhielt ich eine Whatsapp-Nachricht mit einer Einladung zu einer „Protestveranstaltung“ in einer anderen deutsche Großstadt. Zum Ende der Nachricht sah ich, dass diese „Protestveranstaltung“ in einer Moschee stattfindet. Wieder konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. Es ist mir neu, dass auch in Moscheen „Protestveranstaltung“ stattfinden. Der Sinn von Protest ist, dass dieser offen für alle ist, und möglichst viele Menschen teilnehmen sollen, und möglichst viele Menschen davon auch mitbekommen sollen. Bei Protestveranstaltungen werden Flyer und Informationsbroschüren verteilt, man spricht mit Menschen, informiert sie über sein Anliegen, und beantwortet Fragen. In einer Moschee kann höchstens eine Gedenkveranstaltung stattfinden. Aber mittels einer Veranstaltung mit einem geschlossenen Kreis an Personen, die alle für sich reden, trägt man sein Anliegen nicht nach außen.
Gute Beispiele gibt es dennoch
Dennoch gibt es gute Beispiele. Es gibt Menschen, die ihre Zeit opfern und ihren Protest in Wort und Schrift zum Ausdruck bringen. Sie scheuen keine Mühen, auch noch so einen weiten Weg auf sich zu nehmen, um an einer Mahnwache, Kundgebung oder Demonstrationszug teilzunehmen. Sie informieren ihre Mitmenschen, bekunden ihre Solidarität und haben keine Angst ihre Meinung kundzutun. Vor was sollte man sich auch in Deutschland fürchten? Wegen freier Meinungsäußerung wird man nicht geköpft oder hingerichtet, man kommt nicht in Gefängnis, und auch sonst muss man keine staatlichen Repressionen fürchten. So werden die nächsten Tage und Wochen mehrere Protestveranstaltungen in verschiedenen Städten stattfinden.
Sich selbst zur Rechenschaft ziehen
Man sollte sich die Frage stellen, auf welcher Seite man steht, ob man eine Meinung hat und wie man seinen Protest und seine Solidarität bekundet bzw. ob man es wirklich tut. Versucht auch etwas zu tun und bekunde deinen Protest, damit die Menschen aufmerksam werden und sich vielleicht etwas zum Guten ändert.